Übergang der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG auf Bauleistungen – Warum Sie eine TG 1 Bescheinigung benötigen

Der Übergang der Steuer­schuldnerschaft wird häufig auch als Reverse-Charge-Verfahren bezeichnet und bedeutet die Verlagerung der Umsatz­steuer­schuldner­schaft für im Inland steuerbare Umsätze auf den Leistungs­empfänger (§ 13b UStG).

Mit BFH-Urteil vom 22. 8. 2013 stürzte die Finanz­verwaltung mit ihren mehrfachen Änderungen fast die gesamte Bau­branche in Chaos. Hier erfahren Sie alles Wichtige, um die Haftung für die Umsatz­steuer zu umgehen:

Wann darf ich eine Netto-Rechnung ohne Umsatzsteuer ausstellen (aktuelle Rechtslage ab dem 1.10.2014) ...

Werden Bauleistungen von einem im Inland ansässigen Unternehmer im Inland erbracht, geht die Steuer­schuldnerschaft nur auf den Leistungs­empfänger über, wenn er Unternehmer ist und selbst Bauleistungen erbringt, unabhängig davon, ob er sie für eine von ihm erbrachte Bau­leistung verwendet.

Sie müssen in diesem Fall eine Netto-Rechnung ohne Ausweis von 19% Umsatzsteuer dem Leistungs­empfänger ausstellen und auf Ihre Rechnung den folgenden Satz schreiben: „Steuer­schuldnerschaft des Leistungs­empfängers gemäß § 13b UStG“

Wer ist also als Bauunternehmer einzustufen? Nach dem aktuellen Recht erbringt ein Unternehmer zumindest dann nachhaltig Bau­leistungen, wenn er mindestens 10 % seines Welt­umsatzes (Summe seiner im Inland steuer­baren und nicht steuerbaren Umsätze) als Bau­leistungen erbringt.

Doch woher sollen Sie als leistender Bau­unternehmer genau wissen, ob der Leistungs­empfänger tatsächlich selbst Bau­leistungen erbringt? Baustoff­händler oder Bau­träger lassen sich häufig nur schwer von den Bauunternehmen abgrenzen.

Früher hat die Vorlage der Frei­stellungs­bescheinigung gereicht. Heute reicht die Frei­stellungs­bescheinigung nicht mehr aus.

Heute müssen Sie sich zwingend von Ihrem Auftraggeber eine Bescheinigung „USt 1 TG - Nachweis zur Steuer­schuldnerschaft des Leistungs­empfängers bei Bau- und/oder Gebäude­reinigungs­leistungen -“ des Finanzamtes geben lassen.

Die USt 1 TG - Bescheinigung sieht wie folgt aus:

Wenn Sie selber eine solche TG 1 Bescheinigung brauchen, müssen Sie rechtzeitig daran denken, ggf. eine neue Bescheinigung beim Finanzamt anzufordern, da die TG 1 Bescheinigung nur für maximal 3 Jahre erteilt wird.

Haben Sie keine solche TG 1 Bescheinigung vom Auftrag­geber vorliegen und stellt sich im Nach­hinein heraus, dass Sie keine Netto-Rechnung hätten stellen dürfen, haften Sie für die nicht abgeführte Umsatz­steuer. Sie müssten dann auf dem zivil­rechtlichen Wege versuchen, Ihren Auftrag­geber in Haftung zu nehmen. Das kostet unnötig Zeit und Geld und wenn Ihr Auftrag­geber zwischen­zeitig pleite ist, bleiben Sie auf dem Schaden sitzen!

Unsere Empfehlung: Holen Sie immer eine TG 1 Bescheinigung von Ihrem auftrag­gebenen Bau­unternehmer ein, da Sie sich auch bei Wegfall der Voraussetzung auf die Gültigkeit dieser Bescheinigung berufen können und damit nicht das Haftungs­risiko für die nicht abgeführte Umsatz­steuer tragen.

Welche Leistungen fallen überhaupt unter § 13b Abs. 2 S. 1 Nr. 4 UStG? ...

Betroffen sind steuer­pflichtige Werk­lieferungen und sonstige Leistungen, die sich unmittelbar und nachhaltig auf die Substanz eines Bauwerks auswirken, d. h. durch die Leistung muss die Substanz eines Bauwerks oder Bauwerk­teils erweitert, verbessert, beseitigt oder erhalten werden (sog. Bau­leistung). Dies verlangt, dass im Rahmen der Leistung (substanz­verändernde oder -erhaltende) Arbeiten an einem Bauwerk durchgeführt werden; diese Arbeiten muss der leistende Unternehmer nicht selbst erbringen, sondern kann sie auch an einen Sub­unternehmer vergeben.

Der Begriff des Bauwerks ist weit auszulegen und umfasst sämtliche irgendwie mit dem Erdboden verbundene oder infolge ihrer eigenen Schwere auf ihm ruhende Anlagen, die aus Baustoffen oder Bauteilen hergestellt sind, wie z. B.

  • Anlagen zur Ver- und Entsorgung von Grundstücken
  • Böschungsbefestigungen
  • Brücken
  • Brunnen
  • Folien- oder Betonteiche (ohne Bepflanzung)
  • Garagen
  • Gebäude
  • Kanäle
  • Maschinen und sonstige Betriebs­vorrichtungen, sofern sie mit dem Grund und Boden fest verbunden sind (z. B. Windkraft­anlagen, Strommasten, Klärwerks­anlagen, Werbe­tafeln)
  • Platz- und Wegebefestigungen
  • Straßen
  • Tunnel
  • Umzäunungen

Zu den Bau­leistungen gehören neben der Errichtung des Bauwerks insbesondere:

  • Einbau von Fenstern, Türen
  • Verlegen von Bodenbelägen
  • Einbau von Aufzügen, Rolltreppen
  • Einbau von Heizungsanlagen
  • Einrichtungen, die fest mit dem Gebäude verbunden sind, wie z.B. Ladeneinbauten (Schau­fensteranlagen, Gaststätten­einrichtungen)
  • Installation einer Lichtwerbeanlage
  • Dachbegrünung eines Bauwerks
  • Reinigungsvorgang, bei dem die zu reinigende Oberfläche verändert wird (z.B. durch Sand­strahlarbeiten)

Künstlerische Leistungen an Gebäuden fallen ebenfalls unter § 13b UStG , wenn sie sich unmittelbar auf die Substanz auswirken.

Die o. b. Bau­leistungen müssen inländische Grundstücke betreffen, die im Inland steuerbar und steuerpflichtig sind.

Reine Lieferungen (z. B. von Baumaterial) und bloße Duldungs­leistungen (z. B. Vermietung von Baugeräten) stellen hingegen keine Bau­leistungen dar.

Ausgenommen sind ferner auch

  • Planungs- und Überwachungsarbeiten, wie sie z. B. von Statikern, Architekten, Garten- und Innen­architekten, Vermessungs-, Prüf- und Bauingenieuren erbracht werden
  • reine Material­lieferungen
  • Lieferung von Wasser und Strom
  • Aufstellen von Material- und Bürocontainern, Toilettenhäuschen
  • Aufstellen von Messeständen
  • Gerüstbau
  • Entsorgung von Bauschutt
  • Anlegen von Bepflanzungen, Gärten und Wegen
  • Anschütten von Hügeln und Böschungen, Ausheben von Gräben und Mulden zur Landschafts­gestaltung Reinigungs­vorgänge ohne Oberflächen­veränderung Arbeitnehmer­überlassung

Werden im Rahmen eines Vertrags­verhältnisses mehrere Leistungen erbracht, bei denen es sich nur teilweise um Bau­leistungen handelt, kommt es darauf an, ob eine der erbrachten Leistungen als Hauptleistung angesehen werden kann. Diese Hauptleistung gibt dann der gesamten vertraglichen Beziehung das Gepräge. Handelt es sich bei der Haupt­leistung um eine Bau­leistung, so geht die Steuer­schuldnerschaft unter den übrigen Voraus­setzungen des § 13b UStG insgesamt auf den Leistungs­empfänger über. Ist keine Haupt­leistung feststellbar, ist der Vertrag in seine einzelnen Leistungen aufzuteilen und über die Bau­leistungen und die anderen Leistungen getrennt abzurechnen.

Bestehen im Einzelfall Zweifel, ob eine Bau­leistung i. S. von § 13b UStG vorliegt, beanstandet es die Finanz­verwaltung nicht, wenn die Vertragsparteien einvernehmlich von einer Leistung i. d Sinne ausgehen. Voraus­setzung hierfür ist allerdings, dass der Leistungs­empfänger den Umsatz in zutreffender Höhe versteuert, d. h. in einer Umsatzsteuer-Voranmeldung oder in einer Steuer­erklärung für das Kalender­jahr anmeldet.

Welche Bedingungen muss der leistenden Unternehmer für die Verlagerung der Steuerschuld erfüllen?

Der leistende Unternehmer muss im Inland ansässig sein, d. h. er muss in der Bundes­republik einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäfts­leitung oder eine Zweig­niederlassung haben.

Ist der leistende Unternehmer im Ausland ansässig, so tritt zwar u. U. ebenfalls eine Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungs­empfänger ein. Diese ist jedoch in § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG geregelt und an wesentlich geringere Anforderungen als im Fall von § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG bei inländischen Bau­leistungen an Bau­unternehmer geknüpft.

Der leistende Unternehmer darf ferner kein Klein­unternehmer sein, bei dem die Umsatzsteuer gem. § 19 Abs. 1 UStG nicht erhoben wird. Zur Vermeidung von Miss­verständnissen empfiehlt es sich, in der Rechnung auf die Klein­unternehmerschaft hinzuweisen.

Was ist bei Arbeitsgemeinschaften (ARGE) zu beachten? ...

Arbeits­gemeinschaften sind auch nach den allgemeinen Grundsätzen auf Ihre Eigenschaft als Bau­unternehmer zu überpüfen. Liegen die Voraus­setzung eines Bau­unternehmens im vorstehenden Sinne vor, so ist auch von den Mitgliedern einer Arbeits­gemeinschaft eine Netto-Rechnung an die Arbeitsgemeinschaft auszustellen. Die Arbeits­gemeinschaft rechnet dann wiederum im Außenverhältnis nach den vorstehenden Bestimmungen mit dem Auftrag­geber ab.

Auch bei Arbeits­gemeinschaften (ARGE) sollte aus Sicherheits­gründen nicht auf die Einholung der TG 1 Bescheinigung verzichtet werden.

Sind Unternehmer, die eine nachhaltige Bautätigkeit erst vorbereiten aber noch nicht ausüben, bereits als Leistungsempfänger Steuerschuldner (neugegründetes Bauunternehmen)? ...

Und was ist, wenn Sie für ein gerade neugegründetes Bau­unternehmens tätig werden wollen, welches noch keine Umsätze abgerechnet hat?

Der Leistungsempfänger wird in diesen Fällen erst ab dem Zeitpunkt Steuer­schuldner, in dem er seine erste nachhaltige Bau­leistung ausführt. Bau­leistungen, die bis zu diesem Zeitpunkt an den Unternehmer ausgeführt werden, sind (noch) vom leistenden Unternehmer zu versteuern.

Neugegründete Bau­unternehmen müssen zumindest nach außen hin schon mit der Bauarbeit begonnen haben und voraussichtlich mehr als 10 % des erwarteten Umsatzes mit Bauleistungen erbringen.

Auch neugegründete Bau­unternehmen können sich eine amtliche Bescheinigung nach dem Vordruckmuster USt 1 TG ausstellen lassen.

Was ist zu beachten, wenn Ihr Auftraggeber als Bauunternehmen eine Bauleistung für seinen Privatbereich (Wohnhaus, Vermietungsobjekt) bezieht? ...

Haben Sie vom Auftraggeber eine TG 1 Bescheinigung vorliegen, ist es für die Ausstellung einer Netto-Rechnung ohne Umsatz­steuer egal, ob der Auftraggeber Ihre Leistung für seinen Privatbereich bezieht.

Mit Vorliegen der TG 1 Bescheinigung stellen Sie grundsätzlich eine Netto-Rechnung aus.

Für welche Leistungsempfänger gelten besondere Regeln? ...

  • Erbringt bei einem umsatz­steuerlichen Organschafts­verhältnis nur ein Teil des Organkreises (z. B. eine Organgesellschaft) nachhaltig Bauleistungen i. S. des § 13b Abs. 2 S. 1 Nr. 4 UStG, so ist der Organträger als Leistungs­empfänger Steuer­schuldner nur für die Bau­leistungen, die dieser Teil des Organ­kreises bezieht. Für die an den übrigen Organkreis erbrachten Bauleistungen tritt keine Verlagerung der Steuerschuld ein.
  • Wohnungs­eigentümer­gemeinschaften, die Bau­leistungen am gemein­schaftlichen Eigentum in Auftrag gegeben, sind insoweit nicht als Leistungs­empfänger Steuer­schuldner nach § 13b UStG. Betreffen die Bau­leistungen jedoch das Sondereigentum der Mitglieder oder das Eigentum Dritter, so kann unter den übrigen Voraus­setzungen ein Anwendungs­fall des § 13b UStG vorliegen
  • Bauträger: Erbringen Unternehmer ausschließlich Umsätze, die unter das Grund­erwerbsteuer­gesetz fallen, sind sie von der Steuer­schuldner­schaft des § 13b Abs. 2 UStG ausgenommen. Dies gilt insbesondere für Bauträger, die ausschließlich eigene Grundstücke bebauen, um sie im bebauten Zustand zu verkaufen. Erbringt der Bauträger daneben nachhaltig Bauleistungen auf fremden Grundstücken (z. B. als General- oder Rohbauunternehmer), so hat er für sämtliche Bau­leistungen, die er von anderen Unternehmer bezieht, § 13b UStG zu beachten.
  • Erbringen juristische Personen des öffentlichen Rechts (z. B. Gebietskörperschaften) im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art nachhaltig Bau­leistungen i. S. von § 13b Abs. 2 S. 1 Nr. 4 UStG, so ist die juristische Person des öffentlichen Rechts als Leistungs­empfänger Steuerschuldner nur für die Bau­leistungen, die dieser Betrieb gewerblicher Art bezieht. Für die vom hoheitlichen Bereich oder von anderen Betrieben gewerblicher Art bezogenen Bau­leistungen tritt keine Verlagerung der Steuer­schuld ein.

Besonderheiten zur Rechtslage vom 15.2.2014 bis zum 30.9.2014 (Zwischenregelung) ...

Wie so häufig ist die Finanz­verwaltung bei der Umsetzung des BFH-Urteils vom 22. 8. 2013 die Steuer­pflichtigen in ein Chaos mit großen Konsequenzen. Mit der neuen Gesetzes­anpassung kommt nicht darauf an, dass der Unternehmer mindestens 10 % seines Weltumsatzes als Bauleistung erbringt. Eine Vorlage der Freistellungs­bescheinigung nach § 48b EStG ist für diesen Zeitraum ebenfalls bedeutungs­los.

Vielmehr wurde gefordert, dass der Leistungs­empfänger darüber hinaus muss der Leistungs­empfänger die an ihn erbrachte Bau­leistung seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwenden; auf den Anteil der vom Leistungs­empfänger ausgeführten Bau­leistungen an den insgesamt von ihm erbrachten steuerbaren Umsätzen kommt es dagegen nicht mehr an.

Wie der Auftragnehmer den Nachweis einholt, stand dem leistenden Unternehmer frei. Der Freistellungs­bescheinigung kam nur Indizwirkung zu und ein rechtsicherer Nachweis konnte damit für die Auftrag­geber nicht mehr erbracht werden.

Viele Bauträger machten sich die neue Rechtslage zunutze und forderten nun eine Rechnungskorrektur, um sich die Vorsteuer aus den bisher gezahlten Beträgen zu holen.

Haben Sie als leistender Bau­unternehmer das Entgelt oder Teile des Entgelts vor dem 1. Oktober 2014 vereinnahmt und hierfür jeweils eine Netto-Rechnung ohne Umsatzsteuer zu Unrecht ausgestellt, müssen Sie Ihre Rechnung(en) im Vor­anmeldungs­zeitraum der tatsächlichen Ausführung der Leistung berichtigen.

Eine Berichtigung dieser Abschlags­rechnungen kann unterbleiben, wenn Sie als leistender Bau­unternehmer in Ihrer Schluss­rechnung die Umsatzsteuer auf das Gesamtentgelt anfordern. Die geleisteten Anzahlungen sind dann in der Schluss­rechnung nur mit ihrem Netto­betrag (ohne Umsatzsteuer) anzurechnen.

In solchen Fällen sollten Sie von der Möglichkeit der Abtretung der zivil­rechtlichen Zahlungs­anspruchs auf die nun mehr in Rechnung gestellte Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt Gebrauch machen, um Ihre Umsatz­steuerschuld ohne Zahlung zu begleichen. Hierzu müssen Sie also

a) Ihre Rechnung korrigieren und mit 19% Umsatzsteuer dem Auftrag­geber zukommen lassen
b) Die Abtretung bei Ihrem zuständigen Finanzamt beantragen
c) Ihren Auftraggeber darauf hinweisen, dass er die 19%-Umsatzsteuer nicht mehr an Sie sondern direkt an das Finanzamt leisten muss

Wie war die Rechtslage bis zum 15.02.2014 (Altregelung)? ...

Bisher zum Urteil war die Sache mit dem § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG recht einfach:

Der Nachweis, dass der Leistungs­empfänger selbst Bauleistungen erbrachte (auch damals galt schon die 10% vom Umsatz Regel), konnte durch Vorlage einer Frei­stellungs­bescheinigung nach § 48b EStG erbracht. Da fast jeder Bau­unternehmer über eine solche Freistellungsbescheinigung verfügte, konnten Bau­unternehmer recht sicher bei Vorlage eine Netto-Rechnung ohne Umsatzsteuer ausstellen, sofern die allgemeinen Voraussetzung (z.B. Vorliegen einer Bauleistung) erfüllt waren.

Beachten Sie auch die neue steuer­zahler­freundliche EUGH-Rechsprechung hinsichtlich formeller Mängel bei 13b-Rechnungen